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Engländer „zu Gast“ in der Hofholzallee ( 1945- 1949)

Autor/Quelle: Hans-Peter Dehn, im Januar 2011

Als 1945 auch Kiel zur Britisch besetzten Zone *1) wurde, kam auf viele Bewohner der Hofholzallee eine harte Zeit zu, obwohl nahezu alle Häuser – im Gegensatz zu den Häusern in der Innenstadt – von Bombenschäden verschont geblieben waren. Die meisten Bewohner der Hofholzallee mussten ihre Häuser und Wohnungen verlassen, weil diese für Offiziere und Zivilisten der englischen Besatzungsmacht beschlagnahmt wurden.
Innerhalb von zwei Tagen durften sie nur die notwendigsten Habseligkeiten (keine Möbel ) packen, und mussten sich eine neue Bleibe suchen. Meist zur Untermiete in einem nicht durch Kriegseinwirkungen zerstörten Haus in der Stadt oder bei Freunden, Verwandten oder bei Bekannten auf dem Land.
Meine Großeltern und meine Mutter mit uns drei Kindern durften in dem 1944 abgebrannten Haus verbleiben, weil der in diesem Haus geplante Friseursalon für Engländer/innen wegen fehlender sanitärer Einrichtungen nicht verwirklicht wurde. Bei der Besichtigung des Hauses wurde aber das Klavier meiner Großmutter beschlagnahmt und kurze Zeit später in eines der von den Engländern besetzten Häuser abtransportiert. Das Klavier kam nach Ablauf der Besatzungszeit wieder in das Haus meiner Großeltern zurück.

 *1)Britische Besatzungszone 1945 – 1949, heutige Bundesländer Schleswig-Holstein (mit Stützpunkt in Kiel), Hamburg, Niedersachsen,Teile von Nordrhein-Westfalen, Teil von Bremen, ein Sektor Berlins.
(Eine Einrichtung aus dieser Zeit ist der 1945 gegründete und heute noch bestehende „British-Kiel-Yacht- Club“ in Friedrichsort.)

An ein besonderes Erlebnis aus dieser Zeit im Schneewinter 1946/1947 kann ich mich noch gut erinnern. 

KOHLENKLAU

Ein besonderes Augenmerk galt den „Kohlemännern“, welche die besetzten Häuser mit Brennmaterialien von einem alten Lastwagen aus versorgten, denn für die deutsche Bevölkerung gab es Brennmaterial nur auf Bezugschein.
Der Koks *2) lag lose auf der Ladefläche des LKW und wurde zum Transport in den Keller in Kiepen *3) geschaufelt und von zwei Männern in den Heizungskeller getragen. Wenn diese „Kohlemänner“ mit einer Kiepe voll Koks im Keller eines der Nachbarhäuser verschwanden, flitzte ich mit einem alten Obstkorb in der Hand in Richtung Kohlenwagen und versteckte mich unter dem LKW. Dort wartete ich, bis die Kohlemänner“ wieder eine Kiepe mit Koks voll geschaufelt hatten und den Korb in Richtung Heizungskeller schleppten. Jetzt war meine Zeit gekommen, denn beim Füllen die Kiepen fielen meistens einige Koksbrocken neben die Kiepe. Die waren aber schnell verschwunden, und zwar in meinem Korb, und als ich die schwarzen Männer wieder auftauchen sah, hockte ich längst wieder unter dem LKW. Dann ging es aber darum, den richtigen Zeitpunkt abzupassen, das Versteck unter dem Wagen zu verlassen. Als ich hörte, dass die Männer im Kohlenkeller noch den Koks zusammenschaufelten, wusste ich, dass jetzt nichts mehr zu holen war. Als ich unter dem LKW hervorkriechen und eigentlich meine Beute nach Hause tragen wollte, bemerkte ich, dass ich beobachtet wurde. Direkt über mir – am Fenster des Erkers über der Einfahrt – stand eine Frau mit ihren beiden Kindern und sah mir zu. „Abhauen“ ging für mich in dem Moment nicht. Ich hörte die Kohlenmänner immer noch im Kohlenkeller schaufeln, und plötzlich stand neben dem LKW die Frau vom Fenster, warf mir zwei Weißbrotkanten und ein paar lose Zwiebeln zu. Ich war so überrascht, dass ich nicht mal ein „Danke“ gestammelt habe – ein „Thank you“ gab es damals noch nicht für mich, ich war zu der Zeit gerade in der ersten Klasse der Gorch-Fock-Schule – , und bevor mich die „Kohlenmänner“ auch noch erwischten, habe ich Fersengeld gegeben und bin mit meinen „Schätzen“ nach Hause gelaufen.
Und daran habe ich damals überhaupt nicht gedacht: Könnte es sein, dass mich die „Kohlenmänner“ schon vor meinem „Einsatz“ entdeckt hatten? Vielleicht haben sie – weil sie von unserer Not um Brennmaterial wußten – absichtlich ein paar Brocken Koks neben die Kiepe fallen lassen, damit ich sie stibitzen konnte.

*2) KOKS: Steinkohle in faustgroßen Brocken, hat nichts mit „koks“ ( Kokain) zu tun !
*3) KIEPE: Runder Korb aus Weidengeflecht – wurde früher auf dem Rücken getragen – für ca. 50 kg Koks, Kohlesäcke gab es unmittelbar nach dem Krieg nicht mehr.