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Land unter!
Autor/Quelle: Udo Schultz, 18.11.2009
Seit meiner frühesten Kindheit war es so: In jedem Frühjahr zur Schneeschmelze und in jedem Herbst, wenn die Blätter fielen, hieß es bei uns im Garten „Land unter!“. Damals war die Struckdieksau noch nicht verrohrt. Sie lief unter einer Brücke unter der Hofholzallee zum Julienluster Weg und weiter zur Gorch-Fock-Schule als offenes Gewässer. Da unser Grundstück direkt an der Struckdieksau lag (und liegt), bildete der Vorgarten regelmäßig bei Hochwasser in der Au einen See. Und das Hochwasser kam pünktlich wie ein Uhrwerk, wenn der Schnee schmolz und die Au alles mit sich riss, was ihr in den Weg kam – bis sie dann ihren eigenen Staudamm gebaut hatte und sich in die anliegenden Wiesen und Gärten ergoss. Das Gleiche passierte im Herbst, wenn Blätter den ungehinderten Abfluss blockierten. Das war die Zeit, zu der mein Großvater mit einer Forke bewaffnet den Flusslauf kontrollierte und versuchte, zumindest kurzfristig einen Durchfluss freizulegen.
Blick auf das heutige Wisentgehege von der Hofholzallee in Richtung Wittland; Hochwasser im Jahre 1955 – Foto: Udo Schultz
Das Hochwasser im Frühjahr 1965 reicht bis an die Haustür des Hauses Hofholzallee 102 – Foto Udo Schultz
Für uns bedeutete das, dass wir im hinteren Teil des Gartens über den Zaun zum höher gelegenen Nachbargrundstück steigen mussten, um zur Straße zu gelangen. In solchen Zeiten war das heutige Wisentgehege eine weite Seenlandschaft bis hin zur heutigen Waldorfschule. Bei Winterhochwasser, wenn die ganze Wasserfläche fror, war das für uns Kinder natürlich ein besonderes Vergnügen, mit Schlittschuhen und Schlitten darauf rumzutoben…
Als dann die Pumpstation gebaut, die Struckdieksau verrohrt und tiefer gelegt wurde, war es dann endlich vorbei mit „Land unter!“.