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Es ging auch miteinander

Autor/Quelle: Hans-Peter Dehn, im Januar 2011

Hasseldieksdamm lag im Winter 1947-1948 – auch Eiswinter genannt – unter einer geschlossenen dicken Schneedecke.
Die Hofholzallee – damals noch mit Kopfsteinpflaster – war bedeckt mit einer von den wenigen englischen Militärfahrzeugen festgefahrenen Schneeschicht. An den Wochenenden zogen die englischen Väter ihre Kinder auf Schlitten, welche an langen Tauen hinter einen Jeep gebunden waren, die Hofholzallee herauf und herunter. Meine Schwester hat es damals richtig gemacht. Sie stellte sich mit einem alten „Dreisitzerschlitten“ – auf welchem schon unser Vater im Hasseldieksdammer Gehölz gerodelt war – an die Straße und hoffte auf Mitnahme. Und – fast wie beim Trampen – , dauerte es nicht lange, bis die „Schlange“ hielt, und der Schlitten mit meiner Schwester angehängt wurde.
Nach einigen Runden war der „lange“ alte Holzschlitten meiner Schwester der Renner unter den Gespannen . Denn die englischen Schlitten waren ganz kurz und sehr flach, sie hatten ganz schmale Kufen und kamen beim „Schleppen“ schnell ins Schleudern. Dazu hatte meine Schwester neben dem „long sledge“ (langer Schlitten) noch einen weiteren Vorteil: Sie hatte von unserem Vater einige Brocken Englisch gelernt ! „ My name is…… „Ich heiße …….., wie heißt Du ?…… . Diese ersten Kontakte haben sich später zu einer freundschaftlichen Beziehung zu einer englischen Familie entwickelt, die viele Jahre angehalten hat.
Am nächsten Wochenende war es auffälig ruhig auf der verschneiten Hofholzallee. Keine Versorgungsfahrzeuge für Kohlen oder Lebensmittel, keine Jeeps mit Kindern auf Schlitten im Schlepptau. Im Abstand von jeweils etwa 50 Metern standen Fahrzeuge der englischen Militärpolizei vor den Häusern der Hofholzallee. Englische Bewohner, wie auch die wenigen deutschen Familien, die noch in ihren Häusern oder Wohnungen der Hofholzallee verblieben waren, mußten sich nach Aufforderung über Megaphone am Straßenrand versammeln. In englischer und deutscher Sprache wurde angesagt, dass man eine Blutspur auf der Hofholzallee zwischen der Melsdorfer Strasse und dem Voßhörn gefunden habe.

In diese Aufregung hinein löste dann der „Officer“ P. , der damals mit seiner Frau und seinen zwei Kindern ein Haus in der Hofholzallee bewohnte, das Rätsel. “Stop it, stop it!“ rief er.

Er hatte in den Morgenstunden mit einem Armee-Gewehr im Brandholzweg/Köhlbrandweg (heutiger Waldweg zwischen Melsdorfer Strasse und dem Tiergehege) im Wittländer Wald einen Wildschweinkeiler geschossen und diesen auf der Schneedecke – hinter seinem Jeep her – bis zu „seinem“ Haus in der Hofholzallee gezogen. Damit hatte er die Blutspur „gelegt“, welche für die Aufregung und den Einsatz der englischen Militärpolizei gesorgt hatte. Nach dieser Erklärung durften alle wieder in die Häuser gehen, nur unser Vater – im Juli 1947 aus englischer Kriegsgefangenschaft entlassen – wurde von Officer P. zurückgehalten. „ You must help me ……….“. Officer P. hatte aus den Englisch-Versuchen unserer Schwester während der Schlittenfahrten auf der Hofholzallee wohl geschlossen, dass unser Vater über Englischkenntnisse verfügen müsse. Und er hatte den richtigen Mann gefunden. Unser Vater hatte vor und während des Krieges als Studienrat u.a. Englisch unterrichtet und war auf Grund seiner Sprachkenntnisse während seiner Kriegsgefangenschaft als Dolmetscher eingesetzt. Und jetzt sollte er ein Wildschwein ausweiden und zerlegen. Obwohl er so etwas noch nie gemacht hatte, ging er mit geschärften Messern – und sicherlich auch mit einem gewissen egoistischen Hintergedanken – zu Officer P. Das Wildschwein wurde in der Waschküche aufgehängt und mehr oder weniger fachmännisch ausgeweidet und zerlegt. Wenn auch für den „Schlachter“ kein großer Wildbraten abfiel, so brachte unser Vater doch die Innereien, ein paar „Rippchen“ und einige andere Teile, welche Officer P. nicht haben wollte, mit nach Hause. In der damaligen Zeit bedeutete das ein Festessen für uns, auch wenn es über mehrere Tage in „gestreckter“ Form – immer wieder unter einer anderer Bezeichnung – auf den Tisch kam. Aber in dieser Hinsicht waren unsere Großeltern und Eltern in der Nachkriegszeit erfinderisch.